Anthropogene Überprägung des Bodens
Offenbar ist nur wenigen bewusst, dass an unseren heimischen Weinbaustandorten naturgegebene, ungestörte Böden nicht mehr vorhanden sind. Durch die in früheren Zeiten über viele Jahrhunderte gleichartig praktizierte Rebennutzung sowie durch die gegenwärtige Art der Rebenkultivierung und Bodenpflege sind die Weingartenböden in ihrem bodentypspezifischen Horizontaufbau ziemlich stark verändert.
Schablonenhaft beschriebene Bodentyp-Modelle können durch die vielseitige anthropogene Überprägung deshalb nur richtungsweisend im Informationscharakter sein. Entscheidend für die weinbauliche Beurteilung des Bodens eines bestimmten Weinbaustandortes ist der tatsächliche Ist-Zustand.
Anthropogene Überprägung des Bodens alt und neu
Tiefgreifend zeigt sich der Einfluss durch den Menschen in den alten Weinbaugebieten, also in den Rieden, wo schon seit vielen Jahrhunderten, mancherorts seit über 1.000 Jahren, durchgehend eine weinbauliche Nutzung stattfindet. In den früher üblichen sehr engräumigen und niederen Rebanlagen musste dazumal gezwungenermaßen (Frostschutz, Reduktion biotischer Schaderreger, Konkurrenz um Licht und Wasser) langzeitlich (im mittelalterliches Bergrecht) sogar vorgeschrieben der Boden ganzjährig seichtgründig offen gehalten werden.
Nach der situationsbedingten radikalen Umstellung im europäischen Weinbau in den 1950/60er Jahren auf Rebenpflanzungen mit weiteren Reihenabständen und höherer Rebenerziehung (höherer Rebstamm) sowie intensiverem Maschinen- und Geräteeinsatz führte das traditionelle ständige mechanische Bearbeiten und Offenhalten des Bodens während des Jahres zu vielschichtigen schwerwiegenden Problemen (z.B. Erosion, Humusverarmung, Leistungsabfall der Reben). Im Weinbau von heute konnten diese teils gelöst werden, teils scheinen sie mancherorts wegen des immer stärkeren Maschineneinsatzes sogar zu einem nachhaltigen Gefahrenpotenzial für die Bodenfruchtbarkeit und Bodennutzung heranzuwachsen.
Die anthropogene Überprägung des Bodentyps im Weinbau geht mehrheitlich von zwei Seiten aus, sofern eine radikale Entwässerung und Trockenlegung (Drainung), künstliche Verlagerung oder Schüttung ausgeklammert werden können.
Eine tiefreichende Veränderung des Weingartenbodens von Seite des Menschen erfolgt primär bei der Rebenneuanlage. Traditionell wird der Weingartenboden zur Rodung (Entfernung der alten Reben) und Bodenvorbereitung vor der neuerlichen Wiederbepflanzung tiefgehend mechanisch bearbeitet, ursprünglich von Hand aus in mehreren Schichten aufgestochen, in späteren Zeiten gepflügt (25/30 cm) oder rigolt (>40 cm, mitunter sogar bis an die 80/100 cm). In den letzten Jahrzehnten haben viele einfachhalber nur einen Ackerpflug verwendet, was nicht zuletzt aufgrund der relativ oberflächennahen Pflugsohlenbildungen und der dadurch beeinträchtigten Rebwurzelausbreitung immer mehr Probleme in den bestehenden Rebbeständen verursacht (hohe Trockenstressanfälligkeit, Förderung physiologischer Traubenerkrankungen, geringere Nutzungsdauer u.a.). Der klassische tiefgängige Rigolpflug erfährt vielerorts daher berechtigterweise wieder eine Renaissance. Zunehmend wird auch in den Einsatz eines Baggers investiert, mit dem in einem Arbeitsgang die Rodung und das Rigolen (bei einem guten Fahrer in höchster Qualität) durchgeführt werden kann. Grundsätzlich erfährt somit jeder Weingartenboden turnusmäßig zumindest alle 20-50 Jahre ein intensives Wenden, Lockern und Durchmischen, zum Teil unter Beimischung eines humusreichen Fremdmaterials (Kompost). Streng genommen müssten daher fast alle Weingartenböden als Rigolboden (Rigosol) klassifiziert werden.
Auf der zweiten Seite erfolgt die anthropogene Überprägung in bestehenden Weingärten. In Zeiten einer wirtschaftlich erzwungenen stärkeren Mechanisierung und eines häufigeren Befahrens mit immer leistungsfähigeren, schweren Maschinen und Geräten wird der Boden zunehmend physikalisch belastet und bedroht. Verschärft wird die Situation durch die Wahl zu enger, nicht auf die Maschinenbreite abgestimmter Reihenabstände sowie durch ein nicht sachgerechtes Bearbeiten und Befahren des Bodens. Bezüglich Letzterem sind heute insbesondere negativ anzukreiden, das Befahren und Bearbeiten des Bodens in zu nassem Zustand (bei schlechter Abstimmung der Arbeitseinsätze, v.a. mit dem Rebschutz), der Verzicht auf eine einebnende, erosionsmindernde Walze beim Grubber-Einsatz, das extrem tiefgehende und auch rebwurzelreduzierende Lockern in bestehenden Rebanlagen und das zu frühzeitige Wiederbefahren nach einer (künstlichen) Bodenlockerung, das eine noch stärkere Wiederverdichtung des Bodens zur Folge hat.
Unsachgemäße Arbeitsweise rächt sich und ist erkennbar insbesondere in Form von:
► erhöhtem Oberflächenabfluss des Niederschlagswassers und reduzierter Wasserinfiltrationsrate sowie Wasserspeicherfähigkeit im Boden
► verstärkter Bodenerosion
► stärkerer Verschlemmungsneigung
► Nährstoffaustrag ins Grundwasser
► Staunässe
► schlechte Befahrbarkeit
► kaum reparablen Schäden des Bodengefüges, also starker Bodenverdichtung mit Abnahme des Porenvolumens, im alles entscheidenden Fußwurzelraum (Anm.: wichtig ist ein hoher Anteil an Mittelporen für die Speicherung von pflanzenverfügbarem Wasser und an Grobporen für die Sicherstellung von ausreichend Luft für die Wurzelatmung)
► Verschlechterung des Bodenlebens (z.B. wenig Regenwurmaktivität)
► reduzierter Leistungsfähigkeit der Reben (erste Anzeichen: Rückgang im Triebwuchs bei Trockenheit oder Chlorose im feuchten Frühjahr).
Standortangepasster aktiver Bodenschutz
Der Boden ist als nicht erneuerbare Ressource und essentielle Lebensgrundlage für den Menschen dauerhaft zu schützen und nachhaltig zu erhalten. Dies gilt im Weinbau mit seiner Reihenkultur, vor allem bei schmalen Fahrgassen mit jahrzehntelang permanenter Beibehaltung derselben Fahrspur, in ganz besonderem Maße. Unsachgemäße Bodenpflege verschärft zusätzlich die Situation.
Aktiver vorsorgender Bodenschutz wird immer wichtiger, zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit ebenso wie zum langjährigen Gedeihen vitaler Reben und hoher Weinqualität. Neben einer entsprechenden Bodenvorbereitung vor der Wiederbepflanzung und einer zukunftsorientiert ausgelegten Rebenanlageform sind in der Folge im Rahmen der jährlichen Rebenkultivierung eine standortangepasste bodenschonende, humusmehrende Bodennutzung und Bodenbewirtschaftung gefragt. Dazu gehören nicht nur eine bedarfsangepasst regulierte Bodenbegrünung zumindest im Bereich der Fahrspur sondern auch die Wahl des richtigen Reifendrucks und die Vermeidung unnützer Radlasten und Überfahrten insbesondere bei feuchtem Boden.